Jazz sports


Innerlich ablaufende Prozesse der Neugier können zu Entdeckungen in vielen Bereichen führen. Gerade dann, wenn man sich spontan einem Thema nähert, weil der Zufall es auf einem kleinen Tellerchen servierte. Man hätte darüber hinweg schauen können, entschließt sich aber, ein Häppchen davon zu kosten. Oft bringen neue Freunde, Bekannte oder eine neue Lebenssituation dererlei Kostproben mit.

Der Blick auf die dann folgenden neuen Erlebnisse unterscheidet sich wahrscheinlich von der Sicht eines jungen Menschen, der mit einem Sport aufwächst, ihn zu einem Teil seiner selbst macht und später automatisiert abrufen kann. Erlebt man das Entdecken als älterer Mensch, scheint jazz ein hilfreicher Mentor zu sein.

Nur weil das Neue im mehr oder weniger sportlichen Ambiente angesiedelt ist, muß die Motivation des Entdeckens nicht zwangsweise einzig Ehrgeiz oder Siegeswille sein – so gesehen würde ich nur Bilder der Mittelmäßigkeit skizzieren. Der Wettbewerb ist Teil allen Lebens, wenn es um Sport geht, steht er lediglich mitten auf der Bühne.

Es geht vielmehr darum, den intrinsischen Anforderungen des Tuns möglichst nahe zu kommen, im besten Fall eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie es „richtig gehen könnte“, reichte das eigene Talent aus. Egal, wie weit man es selbst in dem Sport bringt, es geht aus Entdeckersicht darum, ein Feeling für die Skills zu entwickeln. Dann hat man die jeweilige Episode für sich ausgesaugt, sein Leben mit deren Nahrhaftigkeit bereichert und kann zur nächsten Entdeckungsreise aufbrechen.

Moto Cross lernen (1969-1983)


Von jazz wußte ich um die 20 noch nichts. Vielleicht war es auch ein zu später Versuch, den Sport noch wie ein Kind einzuatmen. Daher war diese Entdeckungsreise zumindest zu Beginn von allerlei Ehrgeiz und Einfalt gestört und bedarf einer längeren Neubetrachtung des Prozesses mit heutigem jazz-Maßstab. Für jetzt muß ein Erinnerungsbild als Aufforderung an mich selbst genügen, diese Arbeit irgendwann zu leisten.

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Boxen lernen (1993-1996)


Ich durfte, wenn ich brav genug war, als Kind nachts aufstehen um Muhammad Ali kämpfen zu sehen. Immer wieder gab es Zeitabschnitte, in denen ich mich fürs Boxen interessierte (natürlich nur am Fernseher). Ich bewunderte die Bereitschaft der Sportler, sich freiwillig einer solch archaischen Konfrontation zu stellen. Mike Tyson mit seiner absoluten Entschlossenheit, Roy Jones jr. mit seinem eher unkonventionellen Boxstil, die Geschichten um die Boxer – all das faszinierte mich.

Die Bewegungen, zweckmäßig ineinander übergehend, empfand ich von Anfang an äußerst elegant. Aber nie traute ich mich, das selbst einmal nachzuerleben, auszuforschen. Genau deswegen versuchte ich es als Oldie dann doch noch. Die Neugier entstand also im Grunde aus ihrem Schiss davor.

In den paar Jahren im Boxclub Aurora, zwei Mal die Woche unten in der Brückenrampe der Hohenzollernbrücke, machte ich jedenfalls nur gute Erfahrungen mit durchweg netten Männern. Ich wäre leckeres Kanonenfutter gewesen. Etwa mit Mitte 50 versuchte ich es noch einmal für 2 Jahre, diesmal bei Jerry Elliot, weil ich etwas für meinen Rücken tun wollte. Als ich aus einem Anflug von Selbstzufriedenheit einmal meinen jungen Sparringspartner fragte, wie lange es wohl dauere bis er mich umhaue, gab er mir keine 30 Sekunden. Ich habe auf die Beweisführung verzichtet. Aus der Zeit unter der Hohenzollernbrücke gibt es jedenfalls ein paar Bildchen:



Reiten lernen (1994-1999)


Diese Entdeckungsphase kann ich nur annähernd in die sportlicher Aktivitäten einordnen. Bewegen tat sich ja meistens das Pferd. Im Grunde war es eher ein Suchen im Dunkeln. Terra incognita. Nichts, das mir annähernd bekannt war, das ich einordnen konnte, sondern eine Art Annäherung an mich selbst aus unterschiedlichen Richtungen. Manchmal auch wiederholt aus der gleichen, aber das war in der Dunkelheit nicht zu erkennen.

Schon die großen Tiere flößten mir mehr als Respekt ein, es hieß dann gerne, ich solle sie meine Angst nicht erkennen lassen. Tolles Konzept. Dafür waren die wenigen Momente, in denen ich das Glück der Umstände hatte, besonders belohnungsintensiv. Die Bildersammlung unten zeigt Ausschnitte aus der Anfangszeit.

Vom zweiten Texasurlaub gibt es keine bewegten Bilder. Ich konnte nun aber „bessere“ Pferde reiten, die teilweise auch verstanden was ich wollte. Aber für neue Erfahrungen reichte es immer noch locker. Bei einem Ausritt durfte ich einmal das Pferd des Rangers testen. Dieses Tier war, so sagte man mir, über 3 Ecken mit dem berühmten „Doc Bar“ verwandt. Man muß sich das wie einen Urhund für die Haushunde vorstellen, direkt nach dem Wolf.

Obwohl ich dem Pferd feinste Anleitungen gab – nein, in meinen Augen waren das nur vorsichtige Anfragen –, sprang es aus dem Stand sofort! in den Galopp und raste in einem Höllentempo über die (gut ausgewählte) freie Fläche. Als ich nach gefühlten 2 Kilometern halbwegs realisiert hatte was passierte, wollte ich ihn möglichst sanft stoppen – mit dem Ergebnis, dass ich sowohl Sattelknauf als auch Pferdehals nutzen mußte, um wegen der enormen Bremswirkung nicht vor das Tier zu fallen. Einfach gesagt – der Doc Bar-Nachfahre war mir 5 Nummern zu groß! Man muß sediert sein um solch ein Pferd zu reiten.

Als Toby, der von weit hinten herangaloppiert war, uns erreichte, hatte ich mein Angstzittern soweit im Griff, dass ich Gelassenheit vortäuschen konnte. Tarnen und täuschen hatte ich beim Reitenlernen geübt.



Kartfahren lernen (1995-1997)


Michael Schumacher hat uns ja damals alle jeck gemacht. Wer die Racing-Faszination halbwegs nachvollziehen wollte, mußte einmal ein Gokart testen. In Bensheim durfte ich etwa 1995 ein paar Runden auf einem Viertaktkart drehen. Keines dieser Indoorkarts, sondern mit echten Slicks ausgerüstet und durch einen bulligen 360 ccm-Viertaktmotor mit üppigem Drehmoment bestückt. Weil der Besitzer es verkaufen wollte, griff ich kurzerhand zu. Obwohl ich das Teil recht intensiv auf mehreren Kartbahnen bewegte, wurde das Kartfahren eher zu einer Art Nebenbei-Erfahrung. Bücher darüber lesen, vielerlei Tipps einholen und Verbesserungsfrickeleien am Kart gehörten allerdings dazu.

Bei einem meiner Ausflüge nach Kerpen habe ich tatsächlich einmal Michael Schumacher auf dem Kart erleben dürfen. Müßig zu sagen, dass es mir vorkam, als sei er von einer anderen Welt. Nie zuvor und nie danach sah ich jemanden so gelassen derart schnell fahren.

Die Teilnahme am Honda-Dax-Race 1996 war eine Art Spaß-Aushilfsjob bei Pit, der mir seinerzeit das Gokart verkauft hatte. Diese Mopeds waren mir allerdings wirklich zu klein, als dass sie dauerhafte Neugier hätten auslösen können.





Trialfahren lernen (1999-2005)


Mit kurz vor 50 wollte ich an meinem Fortbewegungsmittel wieder eine Lenkstange mit Gasgriff und Bremse haben. Trialfahren schien mir nahe genug an meinen früheren Moto Cross-Vorerfahrungen als dass es zu große Überraschungen mit sich brächte.

Es wurde vielschichtiger als ich Anfangs dachte. Das Trialfahren ging ich nun jazziger an. Die Entdeckungen waren mir wichtiger als die Erfolge, die sich am Anfang durchaus einstellten. Ich führte einen „Trial-Spiekzettel“ mit weit über 100 Seiten Notizen und Skizzen zum Fahren selbst und zu dem was ich dabei fühlte. Ich lernte zum Beispiel, dass das was ich mir vornahm zu tun, auf einem Video ganz anders aussah als ich es mir vorstellte. Es war auch spannend, beim Sektionsbau für diverse Veranstaltungen zu helfen, also mit dabei zu sein, wenn man sich die Aufgaben für die unterschiedlichen Fahrerklassen vorstellen mußte. Dazu sollte man das Gelände förmlich „lesen“ können.

Lehrreich war es auch, Finni, der mich viel übers Fahren lehrte, bei Wettbewerben zu betreuen und mit ihm zu überlegen, welche Spur sich für ihn am ehesten fehlerfrei fahren ließ. Überhaupt war der Austausch von Informationen über Fahrtechniken viel ausgeprägter als ich das von früher kannte – man unterstützte sich gegenseitig, kümmerte sich um die Nachwuchsfahrer, die schon im Kindesalter auf kleinen Trialmaschinchen im Gelände unterwegs waren. Die technische Seite, die Bastelei am Motorrad, war eine weitere Faszinationsquelle. Obwohl die Motorräder weitgehend serienmäßig einsetzbar waren, gab es doch Räume für Tüfteleien und Verbesserungen.

2003 konnte ich Terry Lennnox überreden, sich auf künstlerische Weise mit dem Trialsport zu beschäftigen. Die Trialzeit ging mit nahrhaften Entdeckungen sehr freigiebig um und ich denke, das Trialfahren habe ich so gut ich konnte ausgesaugt.

Mein schönster „innerer Erfolg“ ist denn auch folgende kleine Geschichte: Ich war 2004 mit „meinem Club“ in Luxemburg, um den dortigen Veranstalter bei der Ausrichtung seines WM-Laufes zu unterstützen. Dort sah ich einigen Fahrern beim Training zu und mir fiel ein junger Mann auf, etwa 16, 17 Jahre alt. Spielerisch trainierte er mit Anderen an ein paar Steinbrocken, alberte herum, machte Fehler und korrigierte sich instinktiv. Als ich später im Jahr die Redaktion für das Programmheft unserer eigenen Veranstaltung zur Deutschen Meisterschaft machte, empfahl ich als „Tip des Autors“, diesen jungen Mann im Auge zu behalten. Sein Name: Toni Bou. Seine Weltmeistertitel bis heute (2015): 18 (9 Outdoor, 9 Indoor).

Das meine ich. So weit kommen, dass man versteht worum es geht. Auch wenn die eigenen Möglichkeiten nicht für große Erfolge ausreichen, nimmt man etwas mit, das dauert.



Golf lernen (seit 2004)


Das ist ein Widerspruch in sich und beschreibt lediglich den naiven Wunsch zur Zeit meines Aufbruchs. Die bisher letzte Reise auf der Suche nach Entdeckungen fordert mich. Es ist auch nach 12 Jahren völliges Spontanversagen auf unterstem Level, das sich hin und wieder Bahn bricht. Es kann so schlimm werden, dass ich auf dem Platz weinen möchte...

Golf ist wohl die Sportart, zu der es die meiste Literatur, die schlauesten Zitate, die „besten“ Ratschläge gibt. Das Internet ist voll von Swingfixes und Trainertips. Ich muß nichts dazu schreiben.

Noch während der letzten Trialmonate begann ich mit Golf. Mein Kumpel Ciaran, genau, der Ire, der gut reiten kann, verstand selbstverständlich auch etwas von Golf. Er nahm mich damals zu einer Golfrunde mit, ich durfte anschließend mit seinem Driver schlagen und traf sofort den Ball!

Monate später bekam ich von einer Freundin einen Golf-Schnupperkurs geschenkt. Als die Gruppe mittags zum Essen ging konnte ich nicht anders, als weiter auf die Bälle einzudreschen – die 4 Stunden wollte ich maximal ausnutzen. Es war eine zu schöne Bestätigung der Selbstwirksamkeit, wenn die kleine Kugel endlich einmal hoch durch die Luft flog.

Der dritte Lockruf, mach doch einfach mal unverbindlich die Platzreife (geschickt vage formuliert), mündete schließlich in der Sucht, die Kugel öfter, weiter und zielorientierter fliegen zu sehen.

Zuversicht und innere Gelassenheit werden am Anfang mit zunehmendem Geschick schnell gefestigter. Zählbare Erfolge stellen sich ein, es geht in großen Schritten mit dem Handicap herunter. Ich wußte damals noch nicht, dass das irgendwann weniger wird, dass sich langsam aber sicher Frustration einmischt. In kleinen Dosierungen, hinterhältig getarnt durch Worte wie Tagesform oder unpassende Leute in der Gruppe oder zu heiß oder zu kalt.

Und dann fängst du an zu suchen, willst nicht glauben, dass das, was einmal funktionierte, weg ist. Hörst dir wirklich die Tips der Profis im Internet an, stehst vor dem Spiegel und beobachtest deine Schwungebenen, denkst daran, dass vielleicht neue Schläger die Lösung sind. Siegt die Einsicht in deine Mittelmäßigkeit und du bist kurz vor deiner inneren Gelassenheit, gelingt dir ein Schlag wie nie zuvor und du denkst, vielleicht geht doch noch was bei der nächsten Clubmeisterschaft und das Ganze geht von vorne los.

Natürlich begleitete ich meine Entdeckungsreise wieder mit Videos und Notizen, etliche Seiten mit niedergeschriebenen Erfahrungen, Eindrücken, vermeintlichen Erkenntnissen sind zusammengekommen. Doch es fällt mir je nach Verzweiflungsgrad schwer, mich dem innerlich ablaufenden Prozess hinzugeben. Zu oft wurden Entdeckungen, die ich zunächst in die Beständigkeit und damit in die Befriedigung meines Tuns einordnete, durch spätere Erfahrungen widerlegt.

Ein schöner Prozess ist zum Beispiel dieser: auf der Driving Range, dem Übungsbereich am Golfplatz, bin ich mir nach längerem Üben wegen eines Problemes beim Schwung sicher, in der Transition (dem Umkehrpunkt von Auf- und Abschwung) nunmehr die Handgelenke endlich ruhig zu halten. Es fühlt sich gut an, ich treffe die Bälle überwiegend sauber. Aber das Video entlarvt mein Gefühl als reine Lüge. Genau das gleiche Schlackern wie immer. Nur, dass es gestern zu schlechten Schlägen führte und heute nicht.

Oder eine Runde Matchplay im Team mit meiner Frau. Foursome, jedes Zweierteam spielt einen Ball abwechselnd. Ich hatte mir einen Tag vorher einen Hexenschuß zugezogen, war mit Wärmepflaster zugeklebt, konnte mich kaum bewegen – und spielte eine meiner besten Runden. Es ist nicht wirklich zu verstehen. Solche Uneindeutigkeiten sind bei jeder einzelnen Facette des Tuns Bestandteil dieser Entdeckungsreise.

Welchem Eindruck soll ich jetzt glauben, woran meine weitere Schwungarbeit orientieren? Beim Trialfahren hatte ich die Unterschiede zwischen Gefühl und Video schon erlebt – aber dann war bei optisch erkannbar falschem Tun wenigstens auch das Ergebnis konstant schlecht.

Vielleicht ist es die arglistig vorgetäuschte Simplizität der für den Sport notwendigen Bewegungen, mit der sich das Golfspiel dagegen wehrt verstanden zu werden. Oder ist es doch ein Begriff wie Tagesform, der sich wegen der im Grunde nebensächlichen Tätigkeit des Schlages nach dem kleinen Ball zu einem übermächtigen Beeinflussungsfaktor erhebt? Will das Spiel gar, dass ich aufhöre, es entdecken zu wollen?

Zumindest ist der jazzer, derjenige also, der den inneren Prozeß um seiner selbst Willen liebt, bei diesem Sport gut aufgehoben. Man muß nur aushalten, dass die Antwort auf die gleiche Frage heute so und morgen anders ausfällt. Gestern sowieso.

In der kurzen Zusammenstellung der Irritationen sind die jeweiligen Bemühungen zeitlich geordnet anskizziert. Mein alter Kumpel Terry Lennnox ließ es sich nicht nehmen, ein paar Takte seiner Noises beizutragen.